Koffer packen auf Lincoln…

…heißt es womöglich für die ersten Siedler der Darmstädter Lincoln-Siedlung, wenn 2026 tatsächlich die Abrissbirne anrollt. Zumindest konnten dies die Bewohner einem kleinen Nebensatz des Echo-Artikels vom 26.10.2017 entnehmen. Hierin heißt es, dass die bunten, aufwändig renovierten und modernisierten Häuser entlang der Heidelberger Straße dem Erdboden gleich gemacht werden sollen. Stadtpolitik, die ihre Bürger ernst nimmt und mitnimmt, sieht in meinen Augen auf jeden Fall anders aus.

Doch mal davon abgesehen, wie stümperhaft in diesem Fall Informationspolitik betrieben wurde, würde ein bedeutendes Stück Darmstädter Nachkriegsgeschichte endgültig sein Gesicht verlieren. Die Lincoln-Siedlung  wird dann wohl auch in eines der durchgestylten Wohngebiete umgewandelt, die überall wie Pilze aus dem Boden sprießen und Darmstadt schleichend in eine Stadt ohne echte Ecken und Kanten verwandeln. Hauptsache passiv, egal wie austauschbar das Ganze dann nachher aussieht.

Was 2015 als Prestigeobjekt der Darmstädter Stadtwirtschaft angepriesen wurde, ist mittlerweile jedoch sowieso schon zu einer großen, gesichtslosen Baustelle mutiert.

Die amerikanischen Familien, die einst der Lincoln-Siedlung Namen und Charakter und den kriegsgeschädigten Darmstädtern Hoffnung auf dauerhaften Frieden gaben, würden ihre Siedlung mittlerweile kaum noch wiedererkennen: Das Bestandsgehölz wurde gefällt und respektlos noch an Ort und Stelle geschreddert; Schule, Sporteinrichtungen und andere soziale Punkte des Viertels wurden größtenteils bereits abgerissen. Neue Besen kehren scheinbar besser. Zum Glück wurde Asbest gefunden, denn am Ende hätte man das ein oder andere Gebäude noch verwenden müssen,  obwohl sich mit neuem Wohnraum doch viel mehr Geld verdienen lässt. Wer braucht da schon einen Kindergarten, damit die vielen Kinder der Siedlung wohnortnah betreut werden können?

Aber Hauptsache die Siedlung wird schnellstmöglich autofrei, denn die gefällten Bäume müssen ja kompensiert werden. Dass die Bäume auch als Schallschlucker fungierten und den Lärm von Autobahn und Heidelberger Straße zumindest etwas erträglicher gemacht hatten, interessiert hierbei niemanden. Ganz zu schweigen von der verschwundenen Artenvielfalt, die bei der sinnlosen Aktion einfach mitgeschreddert wurde.

Die Bewohner auf Lincoln sitzen nun inmitten einer lärmenden Insel,  sollen aber selbst gefälligst auf ein eigenes Auto verzichten. Grüne Politik at it’s best.

Warum wir trotzdem hier wohnen wurden wir in den letzten Monaten oft gefragt. Mir fällt da einiges ein:

  • weil Wohnraum in Darmstadt nun einmal knapp ist, nicht nur für Studenten
  • weil sich unter den ersten Siedlern eine Gemeinschaft entwickelt hat, die spontan gemeinsame Grillabende veranstaltet und ein Miteinander pflegt, wie es in einer gesichtslosen Welt immer seltener wird
  • weil wir lieber in der Stadt wohnen als im Umland, wo wir zwingend ein zweites Auto bräuchten
  • weil wir die Idee toll fanden, in einer “amerikanischen” Wohnung zu leben

Viel davon wird nun 2026 nicht übrig bleiben.

Familien müssen ihre Kinder wohl spätestens 2026 entwurzeln und in eine neue Umgebung stecken.

Ältere Ehepaare, die einen Umzug in die Lincoln-Siedlung bewusst geplant hatten, um im voranschreitenden Alter nicht noch einmal umziehen zu müssen, sehen sich nun mit der Aussicht konfrontiert, doch kein dauerhaftes Zuhause gefunden zu haben.

Und wir? Wir kaufen dann wohl doch keine Farbe mehr, um das Arbeitszimmer neu zu streichen. Geld für etwas auszugeben, dessen Ende absehbar ist, ist gefühlt einfach sinnlos. Und in einem nach einem grünen OB (um-) benannten Village möchte ich vielleicht auch einfach gar nicht mehr wohnen.

R.I.P Lincoln-Siedlung

P.S.: Die Kaution nehmen wir dann gerne zeitnah zurück. Wird ja wohl sowieso abgerissen.